Fachkräftemangel: Gibt es den wirklich?

Tjaja Suchender,

der Fachkräftemangel. Ein ewiges Thema. Mal hört man, dass wir so wenig Fachkräfte haben, dass wir nun schon im Ausland anwerben müssen, weil der deutsche Bewerbermarkt leergefischt ist. Dann heißt es wieder, dass heutige Berufseinsteiger es verdammt schwer haben, einen Job zu finden.

JA, WAS DENN NUN? Braucht man uns oder braucht man uns nicht?

Es gibt diesen ominösen Fachkräftemangel wirklich. Aber er sieht anders aus, als viele denken…

1. Fachkräftemangel trifft nur bestimmte Berufe

Sorry, meine lieben BWL-Student*innen, aber in eurer Branche gibt es nun wirklich keinen Fachkräftemangel. Im Gegenteil: Der Arbeitsmarkt wird jährlich von einer beeindruckenden Welle von Absolvent*innen aus wirtschaftswissenschaftlichen Fächern geschwemmt. Es gibt zwar auch recht viele Jobs in dem Bereich, aber eben auch verdammt viele Leute, die diese Jobs machen wollen.

Fachkräftemangel betrifft vor allem Berufe, die keiner machen will. Anstrengende Berufe im Handwerk oder in der Pflege. Schlecht bezahlte Berufe. Und Berufe auf Weiterbildungs- und Meisterebene, für die man also lange lernen muss, obwohl man mit der grundständigen Ausbildung in der Tasche schon arbeiten und Geld verdienen könnte.

Beispielhafte Bereiche sind Berufe im Hausbau, im Metallbau, in der Pflege, im Eisenbahnbetrieb, im Elektrobereich, in der Pflege, im Sanitärbereich und in der Hörakustik. Wenn du eine vollständige Liste mit allen sogenannten Mangelberufen willst, voila: https://www3.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mta4/~edisp/l6019022dstbai447048.pdf?_ba.sid=L6019022DSTBAI447051

Welche Berufe hier fehlen, sind die akademischen Mangelberufe. Darunter fallen viele verdammt harte Fächer wie Mathematik, Informatik und die meisten Ingenieurswissenschaften und auch Fächer, in denen es einfach zu wenig Studienplätze gibt, z B Medizin. Lächerlich, oder? Wir haben Ärztemangel in Deutschland. Wie viele von uns schreien „kein Problem, ich mach den Job, gerne, hier bin ich“?- aber ups, tja leider war da der NC im Weg. Schade. Welcome to German bureaucracy.

Also- der Fachkräftemangel hilft dir für deine Zukunft nur was, wenn du einen Mangelberuf ergreifst.

  • Portrait Of Female Nurse With Digital Tablet In Hospital

Cathy Yeulet/123rf

2. Fachkräftemangel betrifft oft nur bestimmte Regionen

Stuttgart ist im Bauboom. Deshalb werden hier dringend Ingenieur*innen und Architekt*innen gesucht. Im Emsland oder in Brandenburg wird es hingegen echt schwer, mit so einem Beruf einen Job zu finden.

Auch für viele handwerkliche Berufe gilt- was an bestimmten Orten händeringend gesucht wird, ist an anderen Orten nicht so gefragt. In Teilen Deutschlands sind Hebammen so knapp, dass Krankenhäuser verzweifeln. In anderen Regionen gibt es da keinen Mangel. Auf dem Lande gibt es für einige Berufe einfach keine Arbeitgeber. Dafür gibt es in Ballungsräumen aber viel mehr Konkurrenz um die vorhandenden Stellen.

Wer mehr über solche regionalen Unterschiede rausfinden will, kann das auf http://www.berufenet.arbeitsagentur.de tun. Wähle einen Beruf aus. Ganz rechts gibt es dann den Reiter „Perspektiven“ und darunter die Kategorie „Chancen am Arbeitsmarkt“. Da sieht man dann die Unterschiede zwischen den Bundesländern. Hier mal das Beispiel Tischler: https://berufenet.arbeitsagentur.de/berufenet/faces/index?path=null/suchergebnisse/kurzbeschreibung/beschaeftigungschancen&dkz=4460&such=tischler In Baden-Württemberg gibt es nur 0,8 Bewerber*innen pro Stelle, also großen Bedarf. In Berlin bewerben sich im Schnitt über 5 Personen auf eine Stelle. Da ist die Konkurrenz also hart.

Tendentiell gibt es im Süden und Westen Deutschlands mehr Fachkräftemangel als im Norden und Osten.

Das kann also bedeuten, dass du für deinen Traumberuf umziehen musst. Oder wenn du ein heimatverbundener Mensch bist, dass du vielleicht gleich nach Ausbildungen/Studien suchst, mit denen du in deiner Stadt/Region gute Perspektiven hast.

    Sunset over Barley FieldsHelen Hotson/123rf

3. Fachkräftemangel betrifft vor allem richtige Fachkräfte

Wenn du dir die Positivliste anschaust, wirst du feststellen, dass viele sogenannte „3-Spezialisten“ gesucht werden. Das heißt: Fachkräfte mit Weiterbildung wie Techniker oder Meister. Die mittelqualifizierten Fachkräfte sind weniger gesucht. Und diese Tendenz wird sich in Zukunft wahrscheinlich weiterverschärfen. Hochqualifizierte Expert*innen und Geringqualifizierte, die jeden Job machen, werden Perspektiven haben… die Mitte wird es immer schwerer haben.

Das heißt: Eine hohe Bildung wird erstrebenswerter denn je. (Aber auch hier gilt: Der Doktor in Philosophie ist kein Garant für eine Karriere)

    Technician woman working in auto repair workshopgoodluz/123rf

4. Fachkräftemangel betrifft das Heute, nicht zwangsläufig das Morgen

Der Schweinezyklus ist ein fieses Phänomen. Die Gesellschaft brüllt „Wir brauchen mehr Mathelehrer“. Daraufhin entschließen sich ganz viele Abiturient*innen Mathe auf Lehramt zu studieren. Und nach ihrem Studium sind sie dann plötzlich von haufenweise Konkurent*innen umgeben… auf einmal ist nix mehr mit guten Arbeitsmarktperspektiven.

Sich nur auf Prognosen und aktuelle Arbeitsmarktlagen zu verlassen, ist sehr riskant. Zumal der Arbeitsmarkt total im Umbruch ist. Die Digitalisierung rast voran, die Globalisierung weitet sich immer weiter aus… Wer weiß, vllt kriegen wir alle dermaleins bedingungsloses Grundeinkommen und arbeiten nur sporadisch hier und da. Von daher- du kannst dich an solchen Kennzahlen orientieren, aber mach sie bitte nicht zu deinem Hauptkriterium. Such nach einem Beruf, der dir auch entspricht, an dem du Spaß hast, der dich motiviert, Engagement zu zeigen… Denn wenn du ein Scheißstudium unmotiviert durchziehst und dann in einem ernüchternden Beruf landest oder am Ende sogar arbeitslos wirst und mit deinen Qualifikationen nicht mal einen halbwegs interessanten Minijob oder ein erfüllendes Ehrenamt finden kannst… dann ist ja irgendwie blöd gelaufen, nöch?

    18417309 - handsome male african primary school teacher in classroomHongqi Zhang/123rf

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